Sonntag, 4. November 2007

 

Kulturherbst und Kulturschock

Wenn der Herbst beginnt, geht es auch wieder ins Theater. Im September war ich im Maxim Gorki Theater, zum ersten Mal wieder nach der Wende. Ich sah mir Ibsens "Baumeister Solness" an. Die Inszenierung Arnim Petras wurde vom "Spiegel" als modern und optimistisch beschrieben. Natürlich wird heutzutage hunderttausendfach in den Betrieben der Kampf Jung gegen Alt geführt, und die Angst nicht mehr mit den Jungen mithalten zu können, den eigenen Lebensansprüchen nicht mehr gewachsen zu sein, wird immer wieder erlebt. Insofern ist der Ausgang des Stückes sehr modern, denn Baumeister Solness macht der Jugend Platz.
Mir wurde nur nicht ganz klar, warum der doch etwas beleibte Peter Kurth, seinen Bauch rumschwabbeln lassen und den Hintern beim Sex an der Bühnenwand entblößen musste, um seinen Absturz zu verdeutlichen. Ibsen wurde für mich dadurch nicht heutiger. Aber es gehört ja heute zum guten Ton, möglichst zu schockieren.
Da kam mir heute in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" ein Interview von Julia Encke mit der italienischen Kommunistin Rossana Rossanda gerade recht. Sie wurde aus der italienischen KP rausgeschmissen; bezeichnet sich aber immer noch als Kommunistin.
Rossanda sagt: "Wenn ich heute Anfang 30 wäre, würde ich mich ganz sicher in einer politischen Bewegung engagieren. Nicht in einer kommunistischen Partei. In einer Bewegung, die offener ist und eine intellektuelle Provokation darstellt. Ich mag diese Welt nicht. Es hat noch nie soviel Ungleichheit gegeben wie jetzt. Bereits die intellektuelle Provokation ist aber kein Leichtes."
Warum?
"Nehmen sie mich zum Beispiel. Zu sagen, dass ich Kommunistin war und bleibe, ist eigentlich eine Provokation. Man lädt mich ins Fernsehen ein, freut sich, wenn ich komme - aber nicht aufgrund meiner Überzeugungen, sondern weil es ein Spektakel ist. Je größer die Provokation, desto größer das Spektakel. Man wird vom medialen Effekt aufgesogen. die Gegenstände des Denkens geraten ins Hintertreffen."
So ist das eben heute allenthalben. Da freut man sich sehr, wenn man ein Stück sieht, das ganz ohne spetakuläre Dinge auskommt, sondern vom Text und der Schauspielkunst lebt. Christian Kohlund hat in der Komödie am Kudamm (http://www.theater-am-kurfuerstendamm.de/index.php?isSWF=1&nlact=&isJS=1) den berühmten Anwalt Clarence Darrow (http://de.wikipedia.org./wiki/Clarence_Darrow) auferstehen lassen. Er hat nicht nur das Stück inszeniert, sondern er hat auch den Text von David Rintel neu übersetzt, das Bühnenbild trägt seine Handschrift und er spielt grandios.
Vor allen Dingen ist das Stück politisch hoch aktuell, denn auch heute scheint der Kampf für die sogenannten "Kleinen Leute" wichtig, und die Eisenbahner, obgleich zur Zeit nur die Lokführer, streiken in Deutschland wie zu Darrows Zeiten. Die Macht der Konzerne und die der Medien haben auch heute ihre Auswüchse. Ich weiß allerdings nicht, ob die Mehrzahl der Zuschauer in der Komödie den Zeitbezug überhaupt mitbekommen haben.
In diesem Zusammenhang ein neuerliches Spektakel, d.h. also ein Ereignis mit befremdlichem Charakter, nämlich das Interview, das Michel Friedmann mit dem bekennenden Nazi, Horst Mahler, führte.
Wer sich mit osteuropäischen Prostituierten und Kokain betäubt, der kennt natürlich auch keine andere persönliche Hemmschwelle. Dem Magazin "Vanity Fair" kommt das "Spektaculum" entgegen, denn wer mit Auflagenzahlen zu kämpfen hat, dem ist jedes Mittel recht.
Warum also nicht mal - Direktkampf Nazi gegen Juden -! Ich würde es ablehnen mit jemandem zu sprechen, der mich mit "Heil Hitler" begrüßt und der das Dritte Reich verherrlicht. Vielleicht sollten die Herren von "Vanity Fair" mal Wibke Bruhns mit (http://www.daserste.de/druckfrisch/thema_dyn~id,33~cm.asp) "Meines Vaters Land" oder Daniel Hope mit "Familienstücke", in dem der berühmte Geiger den Werdegang seiner jüdischen Familie beschreibt, zu Wort kommen lassen. Aber vermutlich wäre die Auflage geringer.
Ich frage mich, was treibt Herrn Friedmann um. Glaubt er wirklich, man müsse ein Konzentrationslager erlebt haben, um das Unmenschliche zu begreifen. Ich bin gegen das Einräumen von Plätzen und das Stimme geben für Leute wie Horst Mahler. Wichtig ist zu erforschen, warum jemand so denkt und was seine Haltung verändern könnte.
Erfreulicher, d.h. ganz berauschend war gestern die Aufführung von Prokofjews Oper "Die Liebe zu den drei Orangen" (http://de.wikipedia.org./wiki/Die_Liebe_zu_den_drei_Orangen)
in der Komischen Oper (http://www.komische-oper-berlin.de/). Eine wahre Spielfreude zeichnete die Sänger aus und die spritzige Musik begeisterte das Publikum. Eine rundum gelungene Aufführung diese Inszenierung von Andreas Homoki. Man verlässt die Oper in dem Gefühl einen wunderschönen Abend gehabt zu haben. Was will man mehr?
Klara

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